Eine neue Wirkungsdimension - OUTCLIME


Gerade beschwerte ich mich, dass es gar nichts Neues gibt in Deutschland, da landet das aktuelle PR Magazin auf meinem Schreibtisch. In den gelben Seiten, die wissenschaftlichen Abhandlungen von nichtkommerziellen Autoren vorbehalten sind, findet sich diesen Monat der Report des Professors Michael Bürker, der im Dezember dann auch seinen Doktor macht. Interessante Wege gibt es... Er entwickelt ein neues Modell zur Evaluation und Steuerung von PR im strategischen Kommunikationsmanagement.

DPRG/ICV Wirkungsmodell 2009. Quelle: communciationcontrolling.de

Bürker kritisiert das Modell von DPRG/ICV, das in den Wirkungskategorien nicht auf Beziehungen eingeht.
Bürker nimmt Noelle Neumanns Konstrukt des Meinungsklimas (1978) und kombiniert es mit dem Coorientation Model von Broom (1977) und baut daraus (fast vierzig Jahre später) eine neue Wirkungsstufe, das "Outclime". Die "Koorientierung" beinhaltet eine Berücksichtigung der Meinungen der "anderen". Koorientierung findet statt, wenn mindestens zwei Individuen kommunizieren und Meinungen austauschen. Trent Seltzer hat dieses Konstrukt 2006 in seiner Doktorarbeit aufgegriffen und gezeigt, wie es zur Wirkungsmessung von PR genutzt werden kann. Das "Meinungsklima" ist nach Noelle-Neumann die wahrgenommene, kumulierte Meinung von Einzelnen, Dritten und der Medien. Das "Outclime" setzt Bürker zwischen die Wahrnehmungs- und die Reputationsstufe als "Wahrnehmung von Anderen". (Eine Präsentation zu seinem Ansatz habe ich hier gefunden.)


Die Konzentration auf die Beziehung zwischen Unternehmen und Individuen ist eine sehr interessante Erweiterung bzw. Rückbesinnung des Zielspektrums von PR. Die in Mode gekommenen Schlagworte "Kommunikations-Controlling", "Wertschöpfung", "Wertreiberkette", die geforderte Anschlussfähigkeit der Kommunikation an finanzielle Kennzahlen, die zusammen mit Controllern gesucht werden - all diese Entwicklungen ließen den Eindruck erwecken, dass es nicht mehr um Beziehungen geht, sondern um reine Absatzförderung. Dabei weist schon der Begriff "Public Relations" darauf hin, dass Beziehungen das Kernelement des Fachbereichs sein sollten. Auch wenn es in manchen Fachbereichen eher Distribution von Information ist als wirklich bidirektionale Kommunikation zum Aufbau und Erhalt einer wechselseitigen Beziehung. Aber gerade diese Qualität wird durch die sozialen Netzwerke zunehmend von den
Öffentlichkeiten eingefordert .
Eine Offenheit bei der Definition von Fernzielen der Kommunikation halte ich für  sinnvoll, da die Bereiche der PR-Arbeit sehr unterschiedlich sind. Manche Unternehmenskommunikation setzt den Fokus auf reine Produkt-PR, andere wiederum wollen nur die öffentliche Meinung beeinflussen oder bauen an einer langfristig starken Reputation. Manche können einigermaßen legitim einen monetären Wertschöpfungsbeitrag ermitteln, andere nicht. Insofern ist der Ansatz, den Wertschöpfungsbeitrag durch die Verbesserung von Beziehungen zu belegen, absolut wünschenswert. Es ist allerdings fraglich, ob dafür eine weitere Kategorie erfunden werden muss. Gerade letzte Woche saßen die internationalen Evaluationsexperten von AMEC, vom IPR, der FIBEP und anderen Verbänden in Krakow, Polen und diskutieren über die Standardisierung von Terminologien und Methoden.
Die Vorgehensweise von Bürker kann in dem Artikel nicht ganz nachvollzogen werden. Dafür muss wohl auf die Veröffentlichung seiner Dissertation gewartet werden (Dezember 2012). Bürker berechnet einen Saldo von Fernbild (Personen ohne direkten Kontakt zum Unternehmen) und Nahbild (Personen mit Kontakt). Diese Differenz soll den Wertschöpfungsbeitrag der Unternehmenskommunikation darstellen. Dabei erscheint die Terminologie in Bürkers Ansatz nicht immer trennscharf: Image, Reputation und Meinung werden in Fern- und Nahbild vermischt. Reputation wird durch die "Kaufbereitschaft der Stakeholder-Gruppen" operationalisiert, was ein wenig zu einfach klingt. Im Fallbeispiel, einer Studie von 1990 (doch nicht soo neu..) kommt Bürker durch Mittelwertberechnungen zu dem Ergebnis, das BMW-Fahrer (bzw. Personen, die ein Nahbild von der Firma haben) die Marke positiver einschätzen als Fahrer anderer Fabrikate. Der Einfluss öffentlicher Meinung ist am stärksten, wenn die Person keine eigenen Erfahrungen mit der Marke hat. Anhand dieser Ergebnisse, die Bürkert als "Strategische Evaluation mit dem Meinungsklima-/Koorientierungsmodell" betitelt, könne das "höhere Wirkungspotenzial der Unternehmenskommunikation im Fernbereich der potenziellen Stakeholder-Gruppen" dokumentiert werden. Wobei Kommunikation in diesem Zusammenhang Medienberichte und Markenwerbung umfasst.
Die Messung von "Kontrollgruppen", die sich nicht an Berichte oder Werbung des Unternehmens erinnern, ist ein guter Weg, um Veränderungen im Bereich Image zu erfassen und sie Stimuli zuzuordnen. Jedoch ist eine Differenzierung zwischen Werbung und PR dabei nicht möglich. Und solche Kontrollgruppen können ebenso gut in der normalen Meinungsforschung eingesetzt werden.

Meinungsklima und Koorientation, diese traditionellen Modelle der Kommunikationswirkung, die auf klassischen psychologischen Forschungen wie z. B. Newcombs Symmetrie Theorie (1953) und Ansätzen aus der Medienwirkungsforschung von McCleod und Chaffee (1973) basieren, bringen in Erinnerung, wie komplex der Prozess der Meinungsbildung ist. Natürlich reicht eine einfach Output-Messung von Clippings nicht aus, um öffentliche Meinung zu erfassen. Und der Wertbeitrag von Kommunikation ist nicht durch einfache kausale Wirkungszuweisungen in monetären Größen auszudrücken. Es reicht aber auch nicht, Reputation durch Kaufbereitschaft zu operationalisieren und mit Mittelwertberechnungen neue Gesetzmäßigkeiten zu definieren. Es gibt einfach keine einfache Antwort auf komplexe Fragen. Trotzdem bleiben Beziehungen eins der wichtigsten Kriterien für Public Relations und die Beschäftigung mit ihrer Messung ein vielversprechender Ansatz.



Mein persönlicher Kommentar zum Wirkungsmodell der DPRG/ICV:

Ich halte auch nicht viel von dem Wirkungsmodell der DPRG/ICV. Prozesseffizienz und Qualität betrachte ich als INPUT, erweitert durch die produzierten Maßnahmen und Materialien. OUTPUT wird international als der direkt beobachtbare Effekt definiert, und OUTCOME ist alles, was in den Köpfen der Menschen statt findet. Eine Kategorie OUTFLOW hat sich international nicht durchgesetzt, auch wenn es unbestritten ist, dass das Fernziel der Kommunikation dargestellt werden sollte. Don Bartholomew unterscheidet den IMPACT als alle nicht-monetären Werte und den VALUE als finanziell Wertbeitrag, der auf der Basis von anerkannten und korrekt verwendeten Finanzkennzahlen zu berechnen ist (z. B. ROI Definition muss dann auch beachtet werden!).
Ich habe mich schon immer mehr auf Katie Paines Ansatz "Measuring Relationships" konzentriert und meine Dissertation zunächst am individuellen Einstellungsbegriff aufgehängt (1. und 2. Auflage). In der aktuellen dritten Auflage habe ich die Wirkung am kollektiven Reputationsbegriff als PR-Fernziel festgemacht. Im Handbuch "PR-Evaluation und Kommunikations-Controlling" erweitere ich den Wirkungskreis sogar noch um die Wirkungsziele Effektivität, Effizienz, Nachhaltigkeit, Beziehungen (Grunig und Hons Beziehungsfragebogen), Verhalten, Reputation und Wertbeitrag - dieser sollte natürlich immer gewährleistet sein, egal ob Image, Meinung oder Beziehungen von der Kommunikation zu beeinflussen gesucht werden.

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